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von Claudia Knacke
von Claudia Knacke

Als Senior Innovation Consultant bei TRENDONE stößt Aileen auf ihrer Mission zu mehr Zukunftsgestaltung in Unternehmen auf viel offenes Gehör. Im Interview stand sie uns Rede und Antwort zu vielen interessanten Themen, die ihr sehr am Herzen liegen.

Liebe Aileen, schön, dass Du da bist! Dein Lebenslauf hält interessante Stationen bereit. Gib uns bitte einen kurzen Einblick in Deine Vergangenheit.

Gerne! Ich habe in den letzten Jahren viele alle Stationen ausprobiert: von Startups, Konzern bis Beratung und mich dann meiner eigenen Gründung der gemeinnützigen Bildungsorganisation “Die Zukunftsbauer” gewidmet. Ich komme gar nicht aus dem Bildungsbereich, sondern aus dem Bereich Innovation, aber nachdem ich meinen Master in Zukunftsforschung an der FU Berlin gemacht habe, wurde mir klar, dass es doch verrückt ist, dass ich a) in der Schule nie etwas über Zukunft, Trends und Innovation gehört habe und dass ich b) aktuell in Innovationsprojekten mit Erwachsenen darüber reden muss, wie man sich erlaubt utopisch, kreativ und mutig zu denken, obwohl wir das alle als Kinder in uns tragen.

Bei “Die Zukunftsbauer” ging es darum, wie man das Thema “Zukunft” an die Schulen bringt. Wir haben viel mit jungen Menschen gearbeitet und sie Zukunftswelten entwickeln lassen. Außerdem habe ich mich mit dem Thema “Gemeinnützigkeit” und “soziale Innovation in Deutschland” beschäftigt.


Es ist doch verrückt, dass ich mit Erwachsenen darüber reden muss, wie man sich erlaubt, utopisch, kreativ und mutig zu denken. 

Aileen Moeck - Senior Innovation Consultant bei TRENDONE

Unternehmen haben realisiert, dass es ohne ein “Futures Mindset” der Mitarbeitenden schwierig wird, die Zukunft des Unternehmens aktiv zu gestalten. Wo können und sollten Unternehmen Deiner Meinung nach hier ansetzen?

Technologischer Fortschritt und starke Medienverbreitung geben aktuell vielen Menschen und Unternehmen ein Gefühl von gesetzten Zukunftsszenarien. Auf der anderen Seite ist die gefühlte Unsicherheit so groß wie nie. Wer das Kapital und die Marktmacht hat, bestimmt die Zukunft, so scheint es aktuell. Der Zugzwang, der Druck mitzuhalten, veranlasst viele Unternehmer:innen dazu, das eigene Handeln auf die vorherrschenden Zukunftsbilder abzustimmen, ungeachtet der Tatsache, ob dies den eigenen Werten entspricht oder gesamtwirtschaftlich und gesellschaftlich sinnvoll und nachhaltig ist.

Um nicht rein reaktiv an anderer Leute Zukunftsbilder zu partizipieren und damit Innovationen und Trends immer nur hinterherzujagen, ist es unabdingbar, sich neben der Beobachtung vorherrschender Szenarien auch eine Vision der eigenen Zukunft zu schaffen und dieses Narrativ als Möglichkeitsfeld für Innovation und eigene, zukünftige Werte zu erkennen.

Hierfür aber muss das Thema Innovation in Unternehmen anders gelebt werden. Bisher wird es meistens einer bestimmten Abteilung oder nur der Entscheider-Ebene zugeschrieben. Wir müssen da hinkommen, dass jeder Einzelne im Unternehmen innovativ denkt. Und das meint gar nicht, dass man jeden Tag die Idee für ein neues Produkt im Kopf hat, sondern es meint vielmehr eine bestimmte Art zu denken und eine Haltung: offen sein für Neues, in Alternativen denken können, systemisch auf Dinge blicken, aber auch mal kritisch und vor allem proaktiv sein.

Selbstwirksamkeit ist DIE zentrale Grundhaltung, die es braucht, damit wir als Menschen zukunftsfähig und resilient werden und als Organisationen die Große Transformation mit voranbringen.

Aileen Moeck – SENIOR INNOVATION CONSULTANT BEI TRENDONE

Denn ein großes Problem unserer modernen Gesellschaft ist es (und unser Bildungssystem hat da entscheidend zu beitragen), dass wir Menschen starke Konsument:innen geworden sind. Wir konsumieren gefühlt alles und auf Knopfdruck – unsere Demokratie, Meetings auf Arbeit, Freizeit, Mode, Lieferdienste – wir müssen wieder dahin kommen, Dinge nicht nur auf uns zukommen zu lassen, sondern selbstwirksam zu werden.

Das bedeutet: Dinge selbst in die Hand zu nehmen, ins eigene Spüren kommen oder uns für etwas einzusetzen. Das hat auf den ersten Blick gar nicht so viel mit Zukunft zu tun, ist aber DIE zentrale Grundhaltung, die es braucht, damit wir als Menschen zukunftsfähig und resilient werden und als Organisationen die Große Transformation mit voranbringen.

Ein bewusster Einsatz unserer Vorstellungskraft könnte dabei helfen, etwas auszubilden, was die UNESCO als Futures Literacy definiert. Im Englischen beschreibt Literacy ein Set aus Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen, welche die Entwicklung des Lesens und Schreibens fördern. Während es etwa bei Digital Literacy darum geht, ein möglichst grundlegendes Denkverständnis für den Umgang mit dem Digitalen zu entwickeln, bezeichnet Futures Literacy eine Art Zukunftsalphabetisierung oder Zukunftskompetenz – man könnte auch sagen: die Fähigkeit aktiven Zukunftsdenkens und -gestaltens.

Und so ist mit der Ausbildung von Futures Literacy auch nicht gemeint, Menschen darin zu trainieren, besser Vorhersagen zu machen. Sondern sie meint vielmehr die breite Aktivierung der menschlichen Vorstellungskraft im Sinne eines kreativen Zugangs zu Neuem, Wandel und Komplexität. Sie soll helfen, die Auswirkungen des eigenen Handelns frühzeitig zu verstehen, indem wir uns neben dem vorausschauenden Denken auch in einem systemischen und kritischen üben. Als mentales Frühwarnsystem kann uns der Futures Literacy Dreiklang aus Antizipation, Reflexion und Imagination helfen, zu erkennen, wie unser Handeln oder eine Idee in anderen Kontexten oder Zeiten wirkt. Es geht dabei um die Fähigkeit, nicht nur aktiv und bewusst antizipieren zu können, sondern vielmehr verschiedene Antizipationssysteme und Prozesse zu kennen, zu verstehen und je nach Kontext und Zweck bewusst zu wählen und einzusetzen.

Zukunft beschreibt nicht mehr nur das, was morgen kommt, sondern steht für ein Bewusstsein, das ganz neue Denk- und Handlungsräume eröffnet.

“Zukunftsdenken, -gestaltung, -bewusstsein” – alles Schlagworte, die eher die Frage nach dem “Wie?” beleuchten, doch für Unternehmen alles andere als selbstverständlich. Man konzentriert sich sehr auf das “Was?”. Wie finden diese Themen trotzdem mehr Raum im Projektgeschäft? Fallen Dir hierzu konkrete Tipps für Innovationsentscheider:innen ein?

Die Basis jeder Innovation sind Mut, Vorstellungskraft und Kreativität. Unternehmen müssen eine Kultur etablieren, in der Menschen neue Handlungsräume aus eigener Kraft heraus aktiv gestalten können. Denn nur wer ein Bild von sich selbst in der Zukunft hat, kann Entscheidungen treffen, die einen handlungsfähig machen und eine positive Haltung einnehmen lassen gegenüber Wandel. Genau hier setzt die Zukunftsforschung an und die Fähigkeit, Zukunft aktiv zu gestalten. Ganz konkret kann es helfen, den eigenen Zukunftsmuskel vor einem Projekt erst mal zu aktivieren. Wir verlieren uns schnell im linearen Denken und im Status Quo.

Es gibt viele kleine Übungen, die uns dazu bringen, Perspektiven zu erweitern, um systemischer und langfristiger auf Dinge zu blicken. Zum anderen hilft es, Themen immer in den Kontakt zu setzen und bei jeder Entscheidung den Kritiker und den Träumer mit an den Tisch zu setzen und “Störern” ausreichend Raum zu geben. Oft entstehen erst in diesem Diskurs neue Blicke auf Bestehendes.

In Innovationsprojekten und Trends hilft es dann natürlich, wenn wir eine Brücke zum Menschen bauen, indem wir uns fragen: Was macht das jetzt mit meinem Beruf oder meiner Abteilung? Menschen einzubinden, ist ganz wichtig, und ggf. auch neue Zukunftsrollen abzuleiten, anstatt sich auf alte Jobtitel zu versteifen. Das öffnet neue Perspektiven und damit auch Wege für Unternehmen. Das “Wie” sollte also unbedingt mehr Raum im Tagesgeschäft einnehmen. Zu lernen, neu zu denken und überhaupt zu reflektieren, warum wir wie denken, haben wir total verloren.

Expert:in

Claudia Knacke

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