Egal ob online oder offline: Der Handel verändert sich drastisch. TRENDONE Gründer Nils Müller und Innovation Analyst Sandro Megerle reden im Gespräch mit dem Online-Magazin OTTO-Newsroom über den Handel 2035.
Hallo Nils, hallo Sandro, bei Unternehmen geht es oft um die Frage nach dem nächsten Hype. Welcher wäre das für euch?
NILS MÜLLER: Um die Trends der Zukunft zu bestimmen, müssen wir uns die Vergangenheit ansehen: Wir reisen erst einmal in die Vergangenheit zurück: 2003 gab es noch kein Flatscreen, kein Smartphone, Computer waren noch riesige Tower mit DVD und Scannern. Es war eine Zeit des Umbruchs, in der die Trends der ökonomischen Ebene noch nicht entwickelt waren. China produzierte viele Fake-Produkte und die künstliche Intelligenz schien weit entfernt. Es lies sich nicht einmal eine Prognose über das World Wide Web erkennen.
Welche Überraschungen wird es in den nächsten 16 Jahren geben?
SANDRO MEGERLE: Wir nennen diese Überraschungen auch gerne „Black Swan“. Es war lange Zeit nicht bekannt, dass es schwarze Schwäne gibt, bis Forschende sie in Neuseeland entdeckten. Wir stehen an einer Schwelle, wo wir gewisse Innovationen nur erahnen können, die alles auf den Kopf stellen könnten. Das größte Thema ist die künstliche Intelligenz. Diese Innovation macht sich überall breit.
Könnt ihr konkrete Beispiele nennen, in welchen Bereichen KI sich in den nächsten Jahren festbeißen wird?
NILS: KI kann in der Erstellung von kreativen Inhalten helfen, vor allem auch beim Thema Voice Commerce. So wird es irgendwann nicht mehr diese Website-Mechanik geben, wie wir sie jetzt kennen. Es gibt dann vielleicht digitale Avatare, die mir beim Einkauf helfen. Sprich: OTTO gibt es dann nicht mehr als Website, sondern nur noch als Datenmenge in der Cloud, mit der ich sprechen kann und die sich an meine Bedürfnisse ausrichtet und mich anhand meiner Bedürfnisse ausstattet – eine ganz neue OTTO-Welt.
Interessant wäre es doch, wenn mein persönlicher Avatar all meine Präferenzen, meinen Tagesablauf kennt, mir so Empfehlungen geben, Züge und Flüge buchen kann.
Nils Müller - CEO TRENDONE
Das klingt jetzt wirklich nach Zukunftsmusik.
NILS: Das spannende dabei ist doch, dass Unternehmen immer mehr Predictive Intelligence benutzen. So wollen sie anhand von Daten Voraussagen darüber treffen, wie sich eine Situation in Zukunft entwickelt. Interessant wäre es doch, wenn mein persönlicher Avatar, mein Assistent all meine Präferenzen kennt, in Zukunft in meinen Kalender schauen kann, meinen Tagesablauf kennt und mir so Empfehlungen geben, Züge und Flüge buchen kann, aber auch bei der Wohnungssuche hilft, weil der Avatar meinen Geschmack kennt.
Dann könnte ja die gesamte Supply Chain vollautomatisiert sein?
SANDRO: Genau. Vom Anbietenden zum Marketplace bis hin zum/zur Kund*in und zur Delivery. Die Auslieferung findet dann natürlich via „autonomous retail“ statt. Heißt: Wir fahren autonom und können die bestellte Kleidung in einem mobilen Shop ausprobieren, der natürlich perfekt vorkonfektioniert für den/die Kund*in ist. Man sieht das schon an Beispielen aus den USA und China: Da wird das autonome Fahren erweitert, sodass Shops mobil werden und Unternehmen die teure Ladenmiete einsparen. Das kann gerade für ländliche Regionen ein riesen Thema und eine Lösung für das Logistikproblem sein. Das würde den stationären Handel vollkommen auf den Kopf stellen.
Wenn ihr von Beispielen redet, kennt ihr da schon konkrete Projekte, die zurzeit umgesetzt werden?
NILS: Es gibt ein Beispiel von Toyota, mit dem Projektnamen e-Palette. Diese Erfindung schafft ein völlig neues Mobilitätssystem. So wird aus einem autonomen Lieferwagen zum Beispiel ein Pizzaladen oder eine mobile Ärzt*inpraxis. Das e-Palette Concept soll sich je nach Bedarf verwandeln lassen. Schon 2020, zu den olympischen Spielen in Tokyo, wird der Service bereitstehen und unter anderem für Shopping oder Dienstleistungen, wie Ruheräume, eingesetzt werden. Die Händler der Zukunft konkurrieren so also auch mehr mit Freizeitangeboten.
Wie wichtig ist China für die Zukunft und können wir davon profitieren?
SANDRO: Bis jetzt hatten wir immer noch eine Abneigung gegenüber chinesischen Produkten und dachten oft: „China stellt Fake-Produkte her, China kopiert alles“. Aber China hat sich sehr gewandelt, ist nun mehr „Copy That“ und nicht mehr „Copy-Cat“. Die Welt kann ganz viel von China lernen, vor allem im Bereich künstlicher Intelligenz. Zurzeit ist das Land der Mitte in der KI-Entwicklung dabei die USA zu überholen.
Das Thema Nachhaltigkeit ist gerade in europäischen Ländern sehr wichtig. Was sollten Unternehmen eurer Meinung nach zur Nachhaltigkeit beitragen?
NILS: Wir hoffen wirklich, dass der Nachhaltigkeitstrend anhält, sodass in den nächsten 16 Jahren viel bewegt werden kann – mithilfe von Technologien. Wir haben schließlich schon Technologien wie Clean Tech, die den Planeten reinigen, die Emissionen aus der Atmosphäre ziehen und auch KI kann einen großen Beitrag dazu leisten. Ich würde mir auch wünschen, dass sich OTTO da mehr positioniert und zeigt, wie nachhaltig das Unternehmen heute schon ist. Der Handel sollte jetzt schon mutig sein, nachhaltig und intelligent für die Zukunft vorsorgen.SANDRO: Die nachfolgende Generation geht viel kritischer mit solchen Themen um und deshalb müssen Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit weitertreiben. Sie können nicht weitermachen wie bisher, „Green Washing“ funktioniert nicht mehr. Die neuen Konsument*innen verlangen Sinn und eine Wirkung. In der Zukunft sollten Unternehmen nicht Klimaneutral werden, sondern Klimanegativ. Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur Ressourcen einsparen, sondern auch den Ressourcen Zeit zu geben, dass sie sich regenerieren können. Wir müssen die Ursache bekämpfen und im besten Fall gehen die Unternehmen in Zukunft mutig voraus.
Oft schwirrt der Begriff V-Commerce für den zukünftigen Handel im Raum rum. Was bedeutet das konkret?
NILS: Das bedeutet Virtual-Commerce und kann die nächste Stufe von E-Commerce sein. Wenn wir Richtung 2035 denken, ist nicht nur das visuelle, sondern auch das auditive wichtig und nennt sich dann „Total Immersion“. So können wir in die komplette virtuelle Welt mit allen Sinnen eintauchen, können Dinge fühlen, schmecken und riechen, hören und sehen. Wenn wir das erreichen, dann haben wir auch für den Handel ganz andere Möglichkeiten.
Stell dir vor, du kaufst in der virtuellen Welt ein, läufst über eine grüne Wiese und pflückst dort die Äpfel ab. Die Bestellung geht dann direkt raus.
Sandro Megerle - Senior Trend Analyst
Die da wären?
SANDRO: Es löst den traditionellen zweidimensionalen E-Commerce natürlich auf. Stell dir vor, du kaufst in der virtuellen Welt ein, läufst über eine grüne Wiese und pflückst dort die Äpfel ab. Die Bestellung geht dann direkt raus, während du auf dem Feld unterwegs bist. Virtual Commerce ist spannend und man merkt, dass sich da viel tun wird. Jetzt gerade ist es noch eher in einer B2B-Variante unterwegs: So können Unternehmen zum Beispiel eine Ladenfläche einrichten, sich inspirieren lassen oder direkt umplanen, wenn etwas nicht passt. Dann gibt es mittlerweile ja auch schon Virtual Reality Brillen in Stores, die für ein größeres Markenerlebnis sorgen, Materialien von Produkten beschreiben oder über die Werte eines Unternehmens aufklären. Dazu werden in 10 Jahren alle Gamer*innen ausgewachsene, kaufkräftige Konsument*innen sein. Auch das birgt ein großes Potenzial, wenn man sich jetzt schon mit der Szene auseinandersetzt.
Wenn wir noch weiter in die Zukunft schauen, also so ins Jahr 2035, was erwartet uns als Mensch dann? Chips im Gehirn und Unsterblichkeit?
NILS: Gar nicht so verkehrt. Wir sehen, dass der Mensch die Welt um sich herum gestaltet, sondern das erste Mal auch sich neugestaltet: Diese Bewegung nennen viele Transhumanismus. Das sich der/die User*in, Kund*in und Mensch weiterentwickelt und nicht mehr nur Gadgets an sich trägt, wie die Wearables, sondern im Körper aufrüstet. High-Tech-Prothesen, Technologien, die uns upgraden, Organe die 3-D gedruckt sind, aktive Kontaktlinsen und Chips. Elon Musk hat Neuralink gegründet und will mit Implantat-Technologie ganz präzise die Gehirnströme der Menschen messen und optimieren. Das ist meiner Meinung nach die Vision und Entwicklung die 2025 bis 2035 sehr spannend wird.
Das ist heute schwer vorstellbar.
SANDRO: Das ist es. Aber wenn wir auf 2003 zurückschauen und den Leuten von damals erklären würden, dass wir heute mit so kleinen, schwarzen Bildschirmen rumrennen, hätten es auch einige mit einem Lächeln abgetan. 2030 wird es dann wohl heißen: „Wie, du hast noch keinen Chip?“. Das wird dann wohl sehr normal sein.
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